· 

Die existenziale Angst bei Heidegger

Die existenziale Angst bei Heidegger

Die ersten säkularen oder diesseitigen Versuche einer Angstbestimmung wurden von Freud 1926 und dann von Heidegger 1927 unternommen. Stillschweigend übernehmen beide Autoren Kierkegaards Unterscheidung einer Furcht, die sich auf einen bestimmten Gegenstand richtet, und einer Angst, die keinen Gegenstand hat. In Sein und Zeit nennt Heidegger die Gegenstände der Furcht das »Vorhandene«, wogegen der Gegenstand der Angst, das »Worum« und das »Wovor«, »völlig unbestimmt« bleibt und letztlich »das In-der-Welt-sein« (SZ 188) als solches bezeichnet. Anstelle eines Verweises auf Kierkegaard führen sowohl Heidegger als auch Freud die sprachliche Unterscheidung auf eine im deutschen Sprachgebrauch gängige zurück. Überdies bestehen jedoch grundlegende Unterschiede in den Angstanalysen der beiden Zeitgenossen. Diese Differenzen spiegeln die politische Situation Freuds als Flüchtling vor dem Nazi-Regime, dessen aktives Mitglied Heidegger war, wie später noch gezeigt wird.

Die ersten säkularen oder diesseitigen Versuche einer Angstbestimmung wurden von Freud 1926 und dann von Heidegger 1927 unternommen. Stillschweigend übernehmen beide Autoren Kierkegaards Unterscheidung einer Furcht, die sich auf einen bestimmten Gegenstand richtet, und einer Angst, die keinen Gegenstand hat. In Sein und Zeit nennt Heidegger die Gegenstände der Furcht das »Vorhandene«, wogegen der Gegenstand der Angst, das »Worum« und das »Wovor«, »völlig unbestimmt« bleibt und letztlich »das In-der-Welt-sein« (SZ 188) als solches bezeichnet.1 Anstelle eines Verweises auf Kierkegaard führen sowohl Heidegger als auch Freud die sprachliche Unterscheidung auf eine im deutschen Sprachgebrauch gängige zurück.2 Überdies bestehen jedoch grundlegende Unterschiede in den Angstanalysen der beiden Zeitgenossen. Diese Differenzen spiegeln die politische Situation Freuds als Flüchtling vor dem Nazi-Regime, dessen aktives Mitglied Heidegger war, wie später noch gezeigt wird.

Als Grundbefindlichkeit des Daseins nimmt die Angst in Heideggers Existenzanalysen eine Schlüsselstellung ein. Die Angst als »letztes Fundament des Seins« verleiht dem In-der-Welt-Sein seine ursprüngliche Verfassung, welche in der Sorge zum Ausdruck kommt. Mit Kierkegaard bestimmt Heidegger »das Wovor der Angst« als »das Nichts«. Anders als Kierkegaard, bei dem die Angst vor dem Nichts auf eine religiöse Stufe verweist, beharrt Heidegger auf diesem Nichts, d. h. auf dem Sein zum Tode. Mit Nietzsche teilt Heidegger das Pathos des Nihilismus und auch er verleiht der Grundbefindlichkeit des Daseins, der Angst, keine transzendente Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Angst ist sich zu ängstigen, wenn es nichts Besonderes zu fürchten gibt, und sie legt das menschliche Dasein bzw. die Geworfenheit in der Welt offen. Sie bricht den Bann des öffentlichen Seins, in welchem »Man« zu verschwinden droht. Somit ist die Angst eine »Grundbefindlichkeit«, die »das Dasein eigens aus der Verlorenheit in das Man zurückholt zu ihm selbst«. Es erinnert stark an augustinische und gnostische Heilslehren, wenn Heidegger schreibt, »die Angst holt das Dasein aus seinem verfallenden Aufgehen in der ›Welt‹ zurück« – mit dem Unterschied, dass nicht die Furcht vor Gott sondern die Angst selbst rettet. »In der hellen Nacht des Nichts der Angst« ersteht erst »Offenbarkeit« des Seienden »Auf dem Grunde der Angst« wird der Mensch zum »Platzhalter des Nichts«. Die Angst enthüllt das Nichts, indem sie die alltäglichen Bedeutungen raubt, welche die Welt erst vertraut machen:

In der Angst ist einem ›unheimlich‹ […] die alltägliche Vertrautheit bricht in sich zusammen. Das In-Sein kommt in den existenzialen ›Modus‹ des Un-zuhause. Nichts anderes meint die Rede von der ›Unheimlichkeit‹ (SZ 188–189)

Dieser Modus des Unzuhausesein oder der Unheimlichkeit ist dem Sein ursprünglich und muss zum Erlangen von Authentizität erreicht werden:

 

Das beruhigt-vertraute In-der-Welt-sein ist ein Modus der Unheimlichkeit des Daseins, nicht umgekehrt. Das Un-zuhause muss existenzial-ontologisch als das ursprünglichere Phänomen begriffen werden. (SZ 189)

In Heideggers Rede von der »Unheimlichkeit des Daseins« ersteht die gnostische Formel des ›Fremdseins in der Welt‹ neu, einschließlich deren anti-jüdische Tendenz, dem Schöpfergott oder Demiurgen zu entsagen. Als heroisches Postulat begriffen soll die Angst das Dasein aus der ›Geworfenheit‹ heben und mit der unergründlichen Quelle ihrer selbst konfrontieren, mit der nackten Wahrheit der letzten Möglichkeit des Daseins: des Todes. »Diese Gewissheit, dass ich es selbst bin in meinem Sterben-werden, ist die Grundgewissheit des Daseins selbst«. Die Angst in diesem Sein zum Tode dient offenbar dazu, »das Dasein vor sich selbst zu bringen, also das Selbst radikal als Einzelsein zu konstituieren«. Des Weiteren, und im Einklang mit Kierkegaards Forderung »frei zu wählen«, bestimmt Heidegger die Angst als Freiheit, frei zu wählen:

 

Die Angst offenbart im Dasein das Sein zum eigensten Seinkönnen, das heißt das Freisein für die Freiheit des Sich-selbst-wählens und -ergreifens. Die Angst bringt das Dasein vor sein Freisein für ... (propensio in ...) die Eigentlichkeit seines Seins als Möglichkeit, die es immer schon ist. (SZ 188)

Genau wie Kierkegaard betont Heidegger hier die Wahl des Selbst, welche der Freiheit entstammt und durch die Angst ermöglicht wird. Die Sprache Heideggers ist oft selbstbezüglich, daher bezeichnet der Sprachduktus auch in der zitierten Stelle genau den Preis, den Heidegger dafür bezahlt, Kierkegaard eine pseudo-atheistische, immanente Version der Angst abzuringen. Bei aller entschiedenen Säkularisierung bezieht Heidegger seine existenziale Auffassung der Angst also von Kierkegaard und Augustin. Die Spuren der christlichen Angsttradition, namentlich der Rückgriff auf Augustin, Luther und Kierkegaard, sind in Sein und Zeit (1927) in einer Fußnote gut belegt. In Umdeutung des ›Sündenfalls‹, der für die christliche Tradition der Angst bestimmend war, spricht der frühe Heidegger von dem ›Verhängnis‹. Damit meint er »eine existenziale Struktur, nämlich ein ›Abfallen‹ des Daseins von seiner Eigentlichkeit«. Augustin als Begründer der Erbsündenlehre und Kierkegaard mit seiner Analyse der Angst im Kontext der Erbsünde werden so umgedeutet. Obschon Heidegger der Verfallenheit an die Welt bzw. der Abgefallenheit des Daseins jeden moralisch-theologischen Sinn abspricht, bleibt eine religiöse Struktur bestehen, wenn auch eigenartig gottlos. Auch die neuere Forschung ist sich über den großen Einfluss von Augustin und Kierkegaard auf Heidegger einig. Somit ist die eigentliche Leistung Heideggers, die religiös aufgeladenen Begriffe seiner Vorgänger in eine Reihe ›existenzial-ontologischer‹ umgeschrieben zu haben. Speziell gilt es ihm, sämtliche transzendenten Bezüge gekappt bzw. unkenntlich gemacht zu haben, um eine radikale »Diesseitigkeit« und ein auf sich selbst gestelltes Subjekt erstehen zu lassen.

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0