Gabriel, Markus - Neo-Existentialismus

III. Geist als explanatorische Struktur

Als ich den Vortrag hielt, der zu diesem Buchkapitel geworden ist, war die Mehrheit der Zuhörer wach. Viele haben meine Erörterung verfolgt, um eventuelle Lücken und andere Mängel ausfindig zu machen oder um herauszufinden, worauf meine Erörterung hinauslaufen soll, bevor sie eine Entscheidung darüber getroffen haben, ob meine Behauptungen akzeptabel sind. Jede Person in diesem Raum hat sich irgendwie gefühlt. Außerdem glaubte jede Person in diesem Raum, dass mehr als 300.000 Haushalte in China jeweils mehr als ein Paar Schuhe besitzen. Jeder, der während meines Vortrags wach oder in Tagträumen vertieft war, hat meine Stimme gehört oder meine Gesten gesehen, egal ob aufmerksam oder bewusst, oder wenigstens in dem Ausmaß, dass jeder den Fokus seiner Aufmerksamkeit auf die Phänomene richten konnte, auf die ich hingewiesen habe.

Dies ist eine sehr grobe Skizze einer Erklärung davon, wie es möglich ist, dass ein philosophischer Vortrag zu diesem vergangenen Zeitpunkt stattfinden konnte, bei dem ich der Sprecher war. Zusätzlich zu den bereits erwähnten Tatsachen gibt es offensichtlich weitere sozio-historische Bedingungen für dieses Ereignis, wie zum Beispiel die Tatsache, dass vom durchschnittlichen Philosophen nicht erwartet wird, während seines Vortrags einen Bauchtanz zu tanzen. Im gegenwärtigen Wissenschaftsklima werden ausgefallene artistische Darbietungen – wie z.B. Aphorismen zu verlesen statt auf ausgesprochen geradlinige Weise Gedanken vorzustellen – ebenfalls nicht mehr von Philosophen erwartet.

Was ich nun vorgeführt habe ist eine Erklärung aus der intentionalen Einstellung [intentional stance], um einmal Dennetts berühmt gewordenen Ausdruck zu verwenden: Ich erkläre das, was passiert ist, ohne dabei die Informationsverarbeitung im Gehirn oder die Transformation akustischer Wellen zu Information, die daraufhin verschiedene Kanäle des Gehirns durchläuft, zu erwähnen. Noch habe ich die Schwerkraft erwähnt und auch nicht die Naturgesetze; dies alles sind notwendige Bedingungen für das Zustandekommen von Philosophievorträgen, so wie wir sie kennen.

Wir können nun eine vorläufige Unterscheidung zwischen Bewusstsein und Natur einführen, die uns auf den richtigen Weg bringen wird, die Lücke, die Bewusstsein und Natur voneinander trennt, zu verorten. Auf diesem Weg können wir es vermeiden, dem Druck des Naturalismus nachzugeben, diese Lücke innerhalb der Natur anzusetzen. Wenn wir eine natürliche Art wie z.B. ein bestimmtes hydrophobes Molekül erklären, sind wir berechtigt, zu glauben, dass sich diese natürliche Art ganz und gar von irgendeiner bestimmten Charakterisierung oder Beschreibung unterscheidet, die mit der Verwendungsweise desjenigen Wortes verbunden ist, das auf diese natürliche Art in der Alltagssprache verweisen soll. Wenn ein Poet Wassertropfen auf der Oberfläche einer saftigen Wiese beschreibt, denkt er dabei nicht notwendigerweise an die hydrophoben Eigenschaften des Wassers, die erklären, warum es für menschliche und andere tierische Beobachter so aussieht, als wären es kleine Perlen, die an einer Oberfläche herabgleiten. Das Phänomen – kleine Perlen auf einer Oberfläche – wird sehr gut – wenn nicht gar am besten – in der Terminologie einer natürlichen Interaktion verschiedener natürlicher Arten erklärt. Dies wird widergespiegelt in der Vorstellung, dass die Terminologie natürlicher Arten ein möglicherweise verdecktes semantisches Element enthält – d. h. eine Bedeutung, die dem gewöhnlichen Sprecher bei der kompetenten Verwendung des relevanten Terminus nicht unbedingt offenliegt. Der Poet macht keinen Fehler, wenn er das Phänomen beschreibt; er trifft mit seiner Beschreibung nur nicht das Wesen der in Frage stehenden natürlichen Art. Im poetischen Kontext ist dies keineswegs ein Versäumnis, so wie umgekehrt die Abwesenheit poetischer Sprache in einem wissenschaftlichen Artikel zurecht nicht als Fehler angesehen wird.

Was das Bewusstsein angeht, haben viele darauf hingewiesen, dass die Erscheinung/Realität-Distinktion, also die Unterscheidung zwischen einer kompetenten Alltagsverwendung eines Terminus und seiner eigentlichen Bedeutung, die dem gewöhnlichen Sprecher verborgen bleibt, an einem gewissen Punkt zusammenbricht. Sogar eingefleischte Materialisten wie Dennett haben ihre eigene Version dieses Zusammenbrechens der Erscheinung/Realität-Distinktion hinsichtlich des Bewusstseins präsentiert. Im Fall des Bewusstseins gilt auf irgendeiner Ebene: Die Erscheinung ist die Realität.

Ich schlage vor, die Semantik von all dem nicht auf einer natürlichen Lücke zwischen unbelebter und belebter Materie einer bestimmten Komplexität zu verorten, sondern zwischen natürlichen Arten und Geist als einer explanatorischen Struktur. Um meinen Ansatz von anti-materialistischen Einstellungen in der üblichen Bewusstseinsphilosophie zu distanzieren, benutze ich das Wort »Geist« um die Phänomene zu bezeichnen, die ich beschreiben möchte, und um mich der verehrenswerten Tradition anzunähern, uns selbst für intelligente Akteure zu halten. Im Englischen gibt es kein genaues Äquivalent von »Geist«, denn weder mind noch spirit sind hierfür geeignet; daher nutze ich das deutsche Wort Geist auch im Englischen und bitte meine englischsprachigen Leser, es als einen terminus technicus anzusehen.

Die relevante Distinktion zwischen natürlichen Arten und Geist wird einsichtig werden, sobald wir die zwei folgenden Fälle unterscheiden, wie man einen Fehler machen kann. Stellen wir uns einmal vor, ich vertrete eine falsche Annahme über irgendeine natürliche Art. Vielleicht verwechsle ich Eichbosonen und Skalarbosonen, da ich nicht wirklich weiß, wie sich beide Arten von Bosonen voneinander unterscheiden. Dies ändert deren Wesen nicht. Eich- und Skalarbosonen besitzen ihre individuierenden Eigenschaften unabhängig von meinen falschen Annahmen über sie. Nun stelle man sich vor, ich nehme fälschlicherweise an, dass ich ein führender Squashchampion bin. Vielleicht habe ich mit ein paar Freunden Squash gespielt und habe beobachtet, dass wir in dem Spiel immer besser wurden, sodass ich mich dazu entschlossen habe, die Weltmeisterschaft zu gewinnen. Obwohl ich im Turnier jedes einzelne Spiel verliere, halte ich an meiner fehlerhaften Selbstauffassung, ich sei ein großer Squashspieler, fest und erkläre mir die Ereignisse als bloßes Glück auf der Seite der Gegenspieler. Vielleicht entwickelt sich meine fehlerhafte Annahme aufgrund irgendeiner meiner psychologischen Eigenheiten zu einem vollkommenen Selbstbetrug und bestimmt einen großen Teil meines weiteren Lebens.

Der Fehler, den ich bei den Bosonen gemacht habe, ändert die Bosonen nicht. Meine Selbsttäuschung aber ändert mich, und in vielen Fällen ändert eine Selbsttäuschung eine Person in einem solchen Ausmaß, dass wir sie kaum wiedererkennen. Tatsächlich bauen wir unser gesamtes Leben auf verschiedenen Formen verzerrter Selbstrepräsentation auf, da wir uns alle selbst als Mittelpunkt des Interesses erleben. Für alles, was wir wahrnehmen oder denken, finden wir einen Platz in verschiedenen, oftmals narrativ vermittelten Auffassungen davon, wer wir sind.1 Es ist tatsächlich unmöglich, das uns bekannte menschliche Verhalten zu erklären, ohne die Dimensionen unserer verschiedenen Vermögen in Rechnung zu stellen, fiktionale Geschichten erzählen zu können. Der gesamte Bereich des Sozio-historischen und Politischen baut auf unseren fiktionalen Vermögen auf, die in der Tradition der Philosophie des Geistes, die im achtzehnten Jahrhundert mit Kants »Träume eines Geistersehers« (Kant 1905) entstanden ist, ins Rampenlicht gestellt wurden. Die Idee hinter dieser Tradition, die Hegel, Marx und Nietzsche eingeschlossen hat und unter dem Deckmantel des Materialismus auch in Dennett weiterlebt, ist, dass Geist keine natürliche Art ist, weil sich unsere Beziehung zu den Phänomenen, die wir unserem mentalistischen Vokabular zuordnen, deutlich von derjenigen unterscheidet, die wir zu natürlichen Arten pflegen.

Bemerkenswerterweise zieht auch Dennett eine Unterscheidung zwischen natürlichen Phänomenen wie Erdbeben oder Krankheiten und »Phänomenen, die von ihren Begriffen abhängig sind [phenomena that depend on their concepts]«: »Ausgehend von der in diesem Buch darzulegenden Betrachtungsweise wird sich zeigen, daß Bewußtsein, wie etwa Liebe und Geld, in erstaunlichem Maße von den mit ihm verbundenen Begriffen abhängt.«. Leider macht Dennett nicht deutlich, in welchem Ausmaß Bewusstsein von seinen zugehörigen Begriffen abhängig ist und wie sich dies von Liebe und Geld unterscheidet.

Und selbst wenn es der Fall ist, dass Elemente unseres mentalistischen Vokabulars so beschaffen sind, dass sie Phänomene sind, die von ihren Begriffen abhängen, sollten wir hier nicht über das »Bewusstsein« sprechen, da der Sammelbegriff »Bewusstsein« auch Gebrauchsweisen hat, in denen er tatsächlich auf eine natürliche Art verweist. Dies ist etwa beim Reden über den Wachzustand eines Tieres oder über lebhafte halluzinatorische Träume der Fall. Um Raum für eine Naturalisierung einiger Aspekte unserer Selbstbeschreibungen zu schaffen, will ich das Wort »Geist« für diejenigen Bestandteile des menschlichen Bewusstseins reservieren, die wirklich Phänomene sind, »die von ihren Begriffen abhängig sind«, wie Dennett es in einem unwissentlich Hegelschen Moment bezeichnet. Denn Hegels gesamte Philosophie des Geistes kann mit dem Schlagwort zusammengefasst werden, dass Geist der Bereich derjenigen Phänomene ist, die von ihrem Begriff abhängen. Der Punkt ist ja gerade, dass Geist keine natürliche Art oder eine komplizierte, aus natürlichen Arten bestehende Struktur ist, sondern gerade etwas, das unabhängig von den Beschreibungen, die dazu genutzt werden, um geistige Phänomene zu bezeichnen, nicht einmal existieren könnte. Wenn Sie nicht daran glaubten, dass dies hier eine philosophische Abhandlung ist; dass ich diese Worte bewusst niedergeschrieben habe, um mit Ihnen zu kommunizieren; dass ich die Schriften von Dennett gelesen habe und dass ich weiß, dass es überhaupt Bücher und Einwände gibt; dann wäre dies auch keine philosophische Abhandlung. Die ganze Existenz der Philosophie ist offensichtlich an Geist gebunden. Philosophie ist geistig.

Leider führt Dennett die Kategorie dessen, was ich als Geist bezeichne, nur ein, um Kurs auf seine »Ausrottung [extinction]« zu nehmen: die »›nachbewusste‹ Periode unserer Begriffe vom Menschen«. Seine Variante eines eliminativen Materialismus macht jedoch wieder einmal nur Sinn vor dem Hintergrund einer materialistischen Auffassung der Naturordnung zusammen mit der Annahme, dass das menschliche Bewusstsein, wie wir es kennen, entweder in die Naturordnung integriert werden oder aus dem ontologischen Reich des Existierenden eliminiert werden muss. »Die Idee vom Bewusstsein, das vom Gehirn unterschieden werden muß und nicht aus gewöhnlicher Materie, sondern aus einem speziellen Stoff besteht, ist dualistisch. Diese Idee ist heute mit Recht suspekt«.

Sicher, wäre Geist irgendeine Art von außergewöhnlicher Materie, würde er verdienen, heute in Verruf gekommen zu sein und hätte schon seit Anbeginn der Philosophie in Verruf stehen sollen. Aber meine berechtigten Annahmen, dass Sie gerade wach sind, dass die Bonner Universität eine Institution ist, die finanziell vom deutschen Steuerzahler unterstützt wird usw. sind nicht einmal Kandidaten dafür, aus irgendeiner Art von Materie zu bestehen, sei es aus dem regulären oder irgendeinen besonderen Stoff.2 Die Institution des Steuerwesens gehört nicht zur Naturordnung und normalerweise suchen wir auch nicht nach einem Weg, sie in die Naturordnung zu integrieren. Dies würden wir nur tun, wenn wir davon überzeugt wären, dass die richtige Metaphysik im Materialismus besteht und dass wir seinem begrifflichen Druck nur gerecht werden können, wenn wir jedes Phänomen, das seine material-energetische Natur nicht offen zur Schau stellt, entweder eliminieren oder in die Naturordnung integrieren.

Für den Begriff der Naturordnung ist es wesentlich, so wie der Ausdruck »die Naturordnung« verwendet wird, dass sie die Ordnung ist, die aus natürlichen Arten besteht. Natürliche Arten wiederum sind die Arten von Dingen, die so gewesen wären, wie sie sind, auch wenn es niemals jemanden gegeben hätte, der herausgefunden hat, wie sie sind. Nennen wir jede Tatsache, die so wäre, wie sie ist, auch wenn es niemals jemanden gegeben hätte, der sie herausgefunden hat, eine maximal modal robuste Tatsache. Der Begriff der wissenschaftlichen Objektivität aus drittpersonaler Perspektive ist der Begriff von einem Standpunkt, aus dem wir die maximal robusten Tatsachen von denen unterscheiden könnten, die einen geringeren Grad modaler Robustheit haben. Gerade weil wir über den Begriff der maximal robusten Tatsachen verfügen, wirft die Existenz verschiedener Arten von Tatsachen die Frage auf, wie diese anderen Arten von Tatsachen in die Naturordnung passen könnten. Wie kann etwas, das existenziell davon abhängt, von subjektivem Standpunkt gedacht zu werden, vorgestellt zu werden oder erfahren zu werden, Teil der Naturordnung sein?

Als Antwort auf diese Frage schlage ich Folgendes vor: Tatsachen, deren Bestehen von unserem Begriff von ihnen als solchen abhängt, sind schlicht und einfach kein Teil der Naturordnung. Jedoch schließt dies nicht aus, dass es relevante Verbindungen zwischen den verschiedenen Arten von Tatsachen gibt, die wir beachten müssen. Doch werden diese relevanten Verbindungen keine der üblichen Formen haben, wie sie in der Bewusstseinsphilosophie diskutiert werden. Lassen Sie mich dies ausführen!

Die Frage, in welchem Verhältnis Bewusstsein und Gehirn zueinander stehen, ist ausgesprochen schlecht formuliert. Zum einen ist der Begriff des »Bewusstseins«, noch viel mehr sein englisches Äquivalent »mind«, ein Mischlingsbegriff.3 Er hat unzählig viele verschiedene Verwendungsweisen und seine Bedeutung variiert eklatant sowohl synchron als auch diachron, aber auch hinsichtlich der Annahmen verschiedener Personen über ihr eigenes Bewusstsein. Dies überrascht nicht, weil sowohl »Bewusstsein« und »mind«, als auch die angehörige Familie mentalistischer Termini wie »Denken«, »Erkennen«, »Wille«, »Emotion«, »Affekt«, »Selbstbewusstsein« und »Aufmerk-samkeit« in umfassenden explanatorischen Zusammenhängen eingeführt wurden. Von den ältesten erhaltenen gleichnishaften Dokumenten unserer prähistorischen Vorfahren an, haben Menschen, sofern wir irgendetwas darüber wissen können, was sie getrieben haben, versucht, ihren eigenen Handlungen in einem möglichst umfassenden Zusammenhang, nämlich dem der ganzen Welt, Sinn abzugewinnen.

Die prähistorischen Aufzeichnungen sind Gegenstand wilder mythologischer Spekulation. Es ist schwierig genug, dem mentalen Selbstverständnis eines Homer oder dem der verschiedenen frühindischen Texte des Vedanta, geschweige denn demjenigen von Höhlenmalereien Sinn abzugewinnen. Denn gerade die Höhlenmalereien könnten, soweit wir es wohl jemals wissen werden, so gut wie jeder Funktion gedient haben, von Formen religiöser Verehrung bis zu Anleitungen zum Jagen. Die Konstante hinter allen mentalistischen Variationen ist aber die Tatsache, dass Menschen seit jeher versuchten, ihren eigenen Handlungen in einem umfassenden Zusammenhang Sinn abzugewinnen, üblicherweise im größtmöglichen Zusammenhang, den sie sich denken konnten: dem der Welt als Ganzes oder was sie sich darunter vorgestellt haben. Die Auffassung, das Bewusstsein müsse sich in die Naturordnung einfügen lassen, ist nichts anderes als die neueste Mythologie, der jüngste Versuch, alle Phänomene, die für die Erklärung menschlicher Handlungen relevant sind, in ein allumfassendes Strukturganzes einzufügen. Was sich im Laufe der modernen Entwicklung unserer Selbstauffassungen geändert hat, ist das dahinterstehende Weltbild, und das nicht zum Besseren! Der Materialismus oder der Naturalismus nimmt an, dass die Welt als Ganzes mit dem Universum oder der Natur identisch ist und dass zu existieren gleichbedeutend damit ist, Teil der Welt qua Natur zu sein. Doch dieser Schachzug vertuscht die Tatsache, dass in diesem Zusammenhang der Begriff der Naturordnung als ein Element von Handlungserklärungen beschworen wird. Man kann das Element der Handlungserklärung nicht aus einer Weltanschauung eliminieren, die zuallererst dazu entworfen wurde, herauszufinden, wie Handlungen in die Welt passen. So ein Vorgehen unterminiert das Explanandum.

Der springende Punkt des Explanandums ist, dass es sich bei ihm aufgrund seiner konstitutiven Begriffsabhängigkeit wesentlich um ein bewegliches Ziel handelt. Was wir tun, ist davon abhängig, wie wir über das, was wir tun, nachdenken. Menschliches Handeln, wie wir es als historische situierte Akteure kennen, ist stets in nicht-natürliche, durch Institutionen bestimmte Kontexte eingebettet. Durch den Versuch, das semantische Durcheinander unseres mentalistischen Vokabulars auszumisten, indem man einen Referenten aus der Naturordnung für jeden Terminus dieses Vokabulars zur Verfügung stellt oder andernfalls den Begriff aus der Sprache entfernt, ist nichts gewonnen. Das Ergebnis hiervon wäre keine aufgeklärte Community wissenschaftlich gesinnter Denker, sondern eine Gesellschaft ohne Institutionen und ohne Geschichte.

Geist ist eine explanatorische Struktur, die im Kontext der Handlungserklärung zum Zuge kommt. Einige Dinge, die menschliche Akteure tun, lassen sich nur unter Bezugnahme auf die Tatsache erklären, dass sie diese Dinge im Lichte einer historisch variablen Auffassung davon tun, was es heißt, Mensch zu sein. Menschen leben ihr Leben im Lichte einer Vorstellung davon, was der Mensch ist. Diese Vorstellung verweist nicht auf eine natürliche Art. Ein Argument hierfür beruht auf dem Kategorienunterschied von verschiedenen Arten von Fehlern: falsch zu liegen hinsichtlich einer natürlichen Art (zum Beispiel Fermionen), verändert sie nicht. Der Spin von Fermionen ist so, wie er ist, unabhängig von unserem Wissen oder Unwissen davon. Wenn wir aber über uns selbst als Akteure falsch liegen und etwa fälschlicherweise glauben, dass der Mensch identisch ist mit einer gewissen Tierart, zu der wir Menschen gehören, ändert dies unmittelbar unseren Akteurstatus. Der biologische Naturalismus im Sinne einer vollständigen Identifizierung des Menschen mit dem Menschentier hinterfragt unser gesamtes Wertesystem, indem er eine mögliche Revision unserer moralischen Praktiken im Lichte seiner eigenen Norm suggeriert. Diese Norm des biologischen Naturalismus leitet sich von der Behauptung ab, Mensch zu sein sei gleichbedeutend damit, eine bestimmte Rolle im Tierreich zu spielen, im Erdenzoo. Dies ist zwar ein Eingriff in die Sphäre des Geistes, aber (noch) keine erfolgreiche Eliminierung.

 

1Vgl. Dennett (1992). Für eine ähnliche Auffassung vgl. Gabriel (2016d: 246–252). Der Unterschied liegt darin, dass ich das Phänomen des Zentrums des Narrativen mit dem Freudschen Begriff davon verbinde, dass das Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen dazu dient, unsere emotionalen Einstellungen gegenüber anderen zu rechtfertigen. Auf diese Weise vermeide ich die verschiedenen Fallstricke, die aus der Narrativitätstheorie personaler Identität von Ricœur (2005) bekannt sind.

 

2In seinen Locke Lectures bestimmt Dennett den Dualismus als »die Vorstellung, daß das Bewusstsein (anders als das Gehirn) aus einem Stoff zusammengesetzt ist, der von den Gesetzen physikalischer Natur ausgenommen ist«, und macht sich, ohne ein Gegenargument zu liefern, darüber lustig, dass er »eine verzweifelte Sichtweise« sei, »die ihre gegenwärtige Geringschätzung reichlich verdient«. Aber welcher genuine Dualist hat jemals behauptet, Bewusstsein bestehe aus irgendeinem Stoff? Und selbst wenn Platon und Descartes geglaubt hätten, dass mentale Substanzen aus irgendeinem immateriellen Stoff zusammengesetzt sind (was sie nicht taten), warum hätte irgendjemand dem hinzufügen müssen, dass dieser zusätzliche Stoff vollständig »von den Gesetzen physikalischer Natur ausgenommen ist«? Dennetts Ablehnung des Dualismus fällt selbst auf die Vorgehensweise einer Intuitionspumpe herein, wie Dennett so etwas selber nennt. Seine anti-dualistische Intuitionspumpe ist sogar sehr schwach, da sie aus der Zusammensetzung eines lächerlichen Strohmanns und nicht aus einem Argument besteht. Dass hier eine Intuitionspumpe und kein wirkliches Argument im Hintergrund steht, zeigt sich, wenn man berücksichtigt, wie verschieden die beiden Dualismusdefinitionen auf begrifflicher Ebene sind. Was spielt für Dennett die entscheidende Rolle, die Behauptung, dass es nicht zwei Arten von Stoffen gibt, oder die Behauptung, dass es nichts gibt, was von den Gesetzen der physischen Natur ausgenommen wäre? Dennett stellt eine maximal vereinfachte Version von »Dualismus« dar und behauptet dann berechtigterweise, dass so etwas vermieden werden sollte, ohne dabei aber zu erwähnen, dass wirkliche Dualisten niemals etwas behauptet haben, was diesem »Dualismus« auch nur ansatzweise nahe kommt. Um eine seiner eigenen Ausdrücke gegen ihn zu verwenden: »Das ist ein klarer Fall einer mißbrauchten Intuitionenpumpe«. Ein anderes Beispiel für diese Tendenz bei Dennett ist seine Behauptung, dass Descartes eine Theorie des Bewusstseins vertreten haben soll, nach der es »ein unteilbares und vollkommen selbst-kommunizierendes Ganzes« wäre. Wie sonst in dem beliebten Genre, Descartes n’importe quoi zuzuschreiben, führt Dennett keinerlei Belegstellen für seine Behauptung an. Es ist auch unwahrscheinlich, dass er hierfür eine Belegstelle finden kann, da Descartes nicht die Position vertreten hat, die Dennett »Dualismus« nennt.

 

3  Ich werde hier nicht weiter darauf eingehen, dass der Begriff »das Gehirn« ebenso problematisch ist. Zum einen gibt es kein einziges Organ, das man zurecht »das Gehirn« nennen könnte. Gegenwärtig weiß niemand, wie all die Systeme, die wir zum »Nervensystem« zusammenfassen, wirklich zusammenhängen. Diese Systeme sind zusammengenommen zu komplex, um eine respektable wissenschaftliche Theorie über »das Gehirn« aufstellen zu können. All dies wird erschwert von der Individualität unseres Nervensystems und seiner diachronischen Plastizität. Die Idee des »menschlichen Gehirns« ist ein Idealtyp oder eine Konstruktion, die die Forschung leitet und der nichts in der Realität da draußen entspricht. Ich danke dem Neurowissenschaftler Robert Nitsch dafür, dass er mich darauf hingewiesen hat und mir im Detail gezeigt hat, wie ein Großteil des Bewusstsein-Gehirn-Problems in der Mainstream-Bewusstseinsphilosophie auf fiktionalen Vorstellungen vom Gehirn und nicht auf neurowissenschaftlicher Expertise beruht. Für Nitschs philosophische Position zum Thema siehe Nitsch (2012).